Zum Unterhaltsbedarf und zum Rang der Ansprüche, wenn der Unterhaltspflichtige neben einem geschiedenen Ehegatten auch einem neuen Ehegatten unterhaltspflichtig ist (Quelle: BGH) mit Kurzkommentar ARGE FamR DAV


Der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 geänderten Unterhaltsrecht zu befassen. In Rechtsprechung und Literatur war noch weitgehend ungeklärt, wie der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau zu bemessen ist und ob sich die Ansprüche wechselseitig zur Höhe beeinflussen. Zum 1. Januar 2008 ist durch § 1609 BGB auch der Rang der beiden Unterhaltsansprüche geändert worden, was sich immer dann auswirkt, wenn der Unterhaltspflichtige unter Wahrung des ihm verbleibenden Selbstbehalts (hier: 1000 €) nicht alle Ansprüche voll befriedigen kann.

Der 1949 geborene Kläger und die 1948 geborene Beklagte hatten 1978 die Ehe geschlossen, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Nach Trennung im Mai 2002 wurde die Ehe im April 2005 rechtskräftig geschieden. Zuvor hatten die Parteien im Scheidungsverbundverfahren einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtet hatte, an die Beklagte, die seit 1992 vollschichtig als Verkäuferin arbeitete und eigene Einkünfte von rd. 1175 € zur Verfügung hatte, einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 600 € zu zahlen. Der Kläger, der nach wie vor als Lehrer mit Bezügen nach der Besoldungsgruppe A 12 tätig ist, begehrt den Wegfall seiner Unterhaltspflicht für die Zeit ab Oktober 2005 und Rückzahlung der seit Rechtshängigkeit des Verfahrens gezahlten Unterhaltsbeträge. Er beruft sich darauf, im Oktober 2005 wieder geheiratet zu haben und die bereits am 1. Dezember 2003 geborene Tochter seitdem zu unterhalten.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau teilweise herabgesetzt. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

1. Zur Bedarfsbemessung:

Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der geschiedenen und der neuen Ehefrau des Beklagten nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) ist der Bundesgerichtshof von seiner neueren Rechtsprechung ausgegangen, wonach nicht nur ein späterer Einkommensrückgang, sondern auch ein späteres Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist (BGH Urteil vom 6. Februar 2008 – XII ZR 14/06 – FamRZ 2008, 968). Eine Grenze für diese Berücksichtigung ergibt sich erst in Fällen unterhaltsrechtlich vorwerfbaren Verhaltens, was weder beim Hinzutreten später geborener Kinder noch bei Heirat einer neuen Ehefrau der Fall ist.

Wenn sich somit auch der Unterhaltsbedarf einer geschiedenen und einer neuen Ehefrau gegenseitig beeinflussen, ist der jeweilige Bedarf aus einer Drittelung des vorhandenen Einkommens zu ermitteln. Ist nur ein Unterhaltsberechtigter Ehegatte vorhanden, ergibt sich dessen Bedarf aus einer Halbteilung des vorhandenen Einkommens. Dem Halbteilungsgrundsatz kann aber nicht entnommen werden, dass dem Unterhaltspflichtigen stets und unabhängig von der Zahl der Unterhaltsberechtigten immer die Hälfte seines Einkommens verbleiben muss. Diesem Grundsatz ist vielmehr lediglich zu entnehmen, dass dem Unterhaltspflichtigen stets so viel verbleiben muss, wie ein Unterhaltsberechtigter durch eigene Einkünfte und den ergänzenden Unterhalt zur Verfügung hat. Bei nur einem unterhaltsberechtigten Ehegatten ist das die Hälfte, bei einem früheren und einem neuen Ehegatten ein Drittel.

Der Bundesgerichtshof hat den Fall zugleich zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Behandlung des Splittingvorteils aus der neuen Ehe zu ändern. Nach der zum früheren Recht ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs musste der Splittingvorteil stets der neuen Ehe verbleiben. Der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau musste deswegen auf der Grundlage eines fiktiven und geringeren – weil nach der Grundtabelle zu versteuernden – Einkommens errechnet werden. Weil sich nunmehr der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau wechselseitig beeinflussen, konnte der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgeben. Allerdings darf ein geschiedener Ehegatte nicht mehr Unterhalt erhalten, als ihm ohne Einbeziehung des Splittingvorteils zustünde, wenn er allein unterhaltsberechtigt wäre.

2. Zum Rang der Unterhaltsansprüche:

Das Oberlandesgericht hatte die geschiedene und die neue Ehefrau des Unterhaltspflichtigen schon nach dem für Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht (§ 1582 BGB a.F.) als gleichrangig angesehen. Dies hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhaft gerügt. Der Rang der Unterhaltsansprüche mehrerer Ehegatten war nach dem bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht vornehmlich durch den Prioritätsgedanken bestimmt. Nach der Intention des Gesetzes musste sich ein neuer Ehegatte auf die schon bestehenden Unterhaltspflichten einrichten und konnte im Mangelfall nur den Unterhalt bekommen, der dem Unterhaltspflichtigen nach Erfüllung der Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau unter Wahrung seines eigenen Selbstbehalts zur Verfügung stand. Bei diesem Vorrang der geschiedenen Ehefrau, den auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt hatte, hat es nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs für die Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 zu verbleiben, so dass die Beklagte der neuen Ehefrau des Klägers vorging.

Für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 hat das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz allerdings eine neue Rangfolge festgelegt. Der Gesetzgeber hat dabei den Prioritätsgedanken weitgehend aufgegeben und auf das Gewicht der einzelnen Unterhaltsansprüche abgestellt. Nach den im ersten Rang stehenden Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder sind im zweiten Rang stets die Ansprüche Kinder betreuender Eltern auf Betreuungsunterhalt zu befriedigen. Weil die neue Ehefrau des Beklagten das gemeinsame Kind betreut, das noch keine drei Jahre alt war, ist sie zweitrangig unterhaltsberechtigt. Andere Ehegatten oder geschiedene Ehegatten stehen nur dann im gleichen zweiten Rang, wenn eine lange Ehedauer vorliegt. Dabei ist aber nicht allein auf die Dauer der Ehe abzustellen. Vielmehr ist gemäß den §§ 1609 Nr. 2, 1578 b BGB entscheidend darauf abzustellen, ob die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau ehebedingte Nachteile erlitten hat. Weil die Beklagte in ihrer 24-jährigen und kinderlosen Ehe hier seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und deswegen ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich sind, ist ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Januar 2008 gegenüber der neuen Ehefrau nachrangig.

Urteil vom 30. Juli 2008  XII ZR 177/06 –

Amtsgericht Lingen (Ems) – Urteil vom 21.06.2006 – 19 F 133/06 UE

Oberlandesgericht Oldenburg – Urteil vom 26.09.2006 – 12 UF 74/06

Karlsruhe, den 31. Juli 2008

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe

Zusammenfassung der ARGE FamR im DAV 

Zitat:

Für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 hat das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz eine neue Rangfolge festgelegt. Nach den im ersten Rang stehenden Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder sind im zweiten Rang stets die Ansprüche Kinder betreuender Eltern auf Betreuungsunterhalt zu befriedigen. Weil im vorliegenden Fall die neue Ehefrau des Beklagten das gemeinsame Kind betreut, das noch keine drei Jahre alt war, ist sie zweitrangig unterhaltsberechtigt. Geschiedene Ehegatten stehen nur dann im gleichen zweiten Rang, wenn eine lange Ehedauer vorliegt. Dabei ist aber nicht allein die Dauer der Ehe maßgeblich. Vielmehr ist gemäß den §§ 1609 Nr. 2, 1578b BGB entscheidend darauf abzustellen, ob die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau ehebedingte Nachteile erlitten hat. Weil die Beklagte in ihrer 24-jährigen und kinderlosen Ehe hier seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und deswegen ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich sind, ist ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Januar 2008 gegenüber der neuen Ehefrau nachrangig.
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8 Reaktionen zu “Zum Unterhaltsbedarf und zum Rang der Ansprüche, wenn der Unterhaltspflichtige neben einem geschiedenen Ehegatten auch einem neuen Ehegatten unterhaltspflichtig ist (Quelle: BGH) mit Kurzkommentar ARGE FamR DAV”

  1. Eric Grab.

    Ich bin Volljährig und in Lehre.
    Mein Vater hat wieder geheiratet und zahlt deswegen keinen Unterhalt mehr.
    Wer hat den Unterhaltsvorang, ich mit einer Behinderung, oder die neue Frau, die nicht arbeiten möchte, da der Vater dann wieder Unterhalt an mich zahlen müsste??

  2. RA Thomas von der Wehl

    @ eric

    Kinder haben immer den Vorrang, wenn sie noch unterhaltsberechtigt sind. Kinder sind im 1. Rang. Erst im 2. Rang kommen die Ehefrauen.

  3. Paula

    Hallo, ich bin 2003 rechtskräftig geschieden worden, 52 J alt, Tochter ist 26 J und berufstätig. Mein Ex zahlt Unterhalt, ich selber habe keinen eigenen Verdienst (dass ich berufstätig sein müßte weiß ich). Würde seine neue Partnerin Nachwuchs bekommen stünde demnach das Kind an 1. Stelle oder zählt in dem Fall das Scheidungsrecht von 2003, wonach wir geschieden wurden?

    Danke für eine Antwort, finde diese Seiten im übrigen sehr informativ und übersichtlich.

    Mit freundlichen Grüßen
    Paula

  4. RA Thomas von der Wehl

    @ paula

    Kinder sind immer im ersten Rang.

    Wenn Ihr Exmann mit der neuen Partnerin ein Kind bekommt, ist das Kind im Rang auf jeden Fall vor den Ehefrauen und Müttern. Fraglich ist aber, in welchem Rang Sie neben der neuen Partnerin stehen. Grundsätzlich sind die Kinder betreuende Frauen im 2. Rang. Mit diesen Frauen gleichgestellt sind allerdings Frauen, die eine lange Ehe hinter sich haben.

    Wann die Ehe geschieden wurde und welches Recht damals galt, spielt keine Rolle.

  5. Frank

    Hallo Herr von der Wehl,

    ich war von 1996 bis 2006 verheiratet, aus der Ehe ging ein Kind (jetzt 13 Jahre) hervor. 2006 habe ich wieder geheiratet, aus der Ehe gingen 2 Kinder hervor (2 und 3 Jahre).

    An welcher Stelle würden Sie die Ex eingliedern? Wie wirkt sich eine Erwerbsunfähigkeitsrente meiner jetzigen Frau auf die Unterhaltszahlungen aus?

    Ich habe netto 2200 EUR -350 EUR Fahrtkosten -150 EUR eheprägender Kredit abzüglich Unterhalt für die drei Kinder zur Verfügung. Meine Ehefrau bekommt etwa 510 EUR Rente.

    Mit freundlichen Grüßen

    Frank

  6. Frank

    Noch ein Nachtrag: Die Ex verfügt offiziell über keinerlei Einkünfte.

    Die Seite ist übrigens sehr informativ und gut gestaltet, vielen Dank.

    Mit freundlichen Grüßen

    Frank

  7. RA Thomas von der Wehl

    @ frank

    Unterhaltsberechnungen in Einzelfällen kann und darf ich hier nicht machen. Dies wäre auch unseriös bei den meist sehr kurz gefassten Angaben. Grundsätzlich ist es so, dass Unterhalt nach Rangfolgen gezahlt wird. Im 1. Rang stehen alle Kinder und danach kommen gleichrangig die kindererziehenden geschiedenen oder aktuellen Ehefrauen. Für beide Frauen wird zunächst ein Bedarf ermittelt und das eigene Einkommen, auch wenn es aus Rente besteht, auf den Bedarf angerechnet. Im Einzelfall wird für die Ex-Ehefrau sehr wenig, wenn überhaupt ein Unterhaltsbetrag verbleiben.

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  8. Frank

    Hallo Herr von der Wehl,

    vielen Dank für die kompetente und schnelle Antwort, bin gerade bei einem etwas „trägen“ Anwalt, bei dem ich seit Wochen auf eine Antwort warte, obwol er alle Unterlagen hat…

    Mit freundlichen Grüßen

    Frank

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