Kindesmißbrauch 4.5/5

Leider ein Gebiet, mit dem Familienrechtler sich immer wieder befassen müssen.




Thema: Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch

Untertitel: Steckt die Institution Familie in einer Krise?

Fall 1: Seine Frau sei immer zickiger geworden, erklärt ein 43-jähriger Mann vor dem Hamburger Landgericht. Er ist angeklagt, seiner 15-jährigen Tochter seit ihrem 6. Lebensjahr sexuell missbraucht zu haben. Der Mann streitet, trotz erdrückender Beweislage, alles ab. Es sei ein Racheakt des Mädchens, wohl weil er ihr das Rauchen verboten habe.

Fall 2: Polizei und Feuerwehr brechen in Regensburg nach einem anonymen Hinweis eine Wohnungstür auf. Das 5-jährige Mädchen, von der Mutter mit den Füßen an einem Bettpfosten gefesselt, die Arme mit einem Bademantelgürtel verknotet, ist mit frischen und älteren Wunden übersät. Nachbarn berichten, sie hätten seit einem Jahr immer wieder Schreie gehört.

Dies sind spektakuläre Fälle von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch, die nicht so selten sind, wie es vielleicht scheint. Es sind gehäufte Scheußlichkeiten, die als vermeintliche Ausnahmeerscheinung im „Vermischten“ der Tagespresse entrüstet zur Kenntnis genommen werden. Ich möchte zunächst über den sexuellen Kindesmissbrauch sprechen und einige Fakten und Daten darlegen.

Der Ort des Geschehens ist kein Phänomen des fremden Mannes von der Straße oder des „aus dem Busch Springer“. In 60 % der Fälle handelt es sich um innerfamiliären Inzest. Die Hälfte davon durch die Väter, 30 % sind Bekannte und nur 6 –8 % sind Fremdtäter. Das Alter der Opfer ist kein Problem der Verführung durch s.g. Frühreife Lolitas. In 50 – 60 % der Fälle beginnt der Missbrauch im Vorschulalter oder sogar im Säuglingsalter. Die Dauer des sexuellen Missbrauchs ist fast nie ein einmaliger Akt, auch wenn selbst die Opfer dies anfangs als Selbstschutz behaupten. In 70 % der Fälle dauert er mehr als 2 Jahre an, in 40 % der Fälle sogar bis 4 Jahre. Es sind fast immer Wiederholungstaten. Nicht selten werden von einem Täter mehrere Kinder missbraucht.

Die Täter sind keine perversen Irren oder geisteskranke Zombies. Sie sind ganz normale sozial angepasste und meist unauffällige Menschen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen. Die Ursache für den sexuellen Missbraucht sind einerseits gesellschaftliche Machtstrukturen und andererseits massive Familienfehlfunktionen, bzw. Beziehungsstörungen. Nur ein Teil der Täter wurden als Kinder vorher selbst missbraucht. Die Wissenschaft hat 4 klassische Faktoren für Tätertypen entwickelt.


1. Eine emotionale Übereinstimmung zwischen den idR emotional zurückgebliebenen Täter und dem Opfer.
2. Ein von der Normalität abweichendes sexuelles Erregungsmuster des Täters, nämlich die Erregung durch Kinder.
3. Versagensängste mit erwachsenen Partnern und die Blockierung sexueller Wünsche durch den erwachsenen Partner.
4. Die Aufhebung moralischer Hemmungen durch Auslöser wie Streß, Arbeitslosigkeit oder Beziehungsstörungen.

Die Verantwortung für die Tat liegt eindeutig und zu 100 % nur beim Täter. Kinder wollen nicht missbraucht werden.

Die klassische Einlassung des Täter, er habe angeblich kokettes Verhalten des Kindes missgedeutet ist falsch. Kindlich kokettes Verhalten ist fast immer Folge und nicht Ursache des sexuellen Missbrauchs. Die Glaubwürdigkeit der Kinder bei den Schilderungen ist hoch. Kinder erfinden extrem selten Geschichten über sexuelle Kontakte zu Erwachsenen. Nach zahlreichen gerichtspsychiatrischen Untersuchungen sind Kinder seht glaubwürdige Zeugen.
Die Taten selbst bei sexuellem Missbrauch reichen von Vergewaltigung über Pornographie bis zur Perversion und unter Fachleuten gilt der Satz

Die Realität ist schlimmer als jede erdenkliche Phantasie.

Das Erkennen und die Diagnose sind schwierig. Die Opfer schweigen aus verschiedenen Gründen. Sie haben Angst, leiden unter Geheimhaltungsdruck, haben Loyalitätskonflikte zu dem Vater und haben Schuld- und Schamgefühle. Meist sind nonverbale und indirekte Hinweise der Kinder, sowie Verhaltensauffälligkeiten die einzigen Diagnosemöglichkeiten. Es gibt kein charakteristisches Missbrauchtssyndrom.

Allerdings ist altersunangemessenes Sexualverhalten ein wichtiger, wenn auch nicht völlig spezifischer Hinweis. Die Umgebung des Opfers reagiert meist hilflos und ungläubig. Manchmal auch panisch und aggressiv. Gerade Mütter missbrauchter Kinder haben in dieser Beziehung oft Wahrnehmungsprobleme unter anderem deshalb, weil sie überzufällig häufig selbst Missbrauchsopfer waren und die Folgen der Aufdeckung für sie immer katastrophal sind. Der Verdacht und erst recht die Aufdeckung des Missbrauchs lösen eine enorme Krise, Ratlosigkeit und Panik bei allen Beteiligten aus. Die Intervention bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch muss gut überlegt und durchdacht sein. Ein überstürztes Handeln und eine sofortige Anzeige ist selten der richtige Weg.

Wie wird sexueller Missbrauch bei Kindern definiert:
Es ist jede sexuelle Handlung eines Erwachsenen mit einem Kind. Hierbei nutzt der Erwachsene seine Machtposition und seine Autorität aus, um das Kind zur Kooperation zu überreden oder zu zwingen. Er übertritt dabei geltende Familienregeln und gesellschaftliche Tabus.
Ganz entscheidend ist die Absicht des Erwachsenen, sich einem Kind zu nähern, um sich sexuell zu erregen oder zu befriedigen. Damit gibt es also keine fließende Grenze zwischen gewolltem und gewünschten Kuscheln, notwendiger körperlicher Zärtlichkeit und sexuellem Kindesmissbrauch.

Es gibt allerdings auch subtilere Formen des sexuellen Missbrauchs wie z.B.

a) ständige Bemerkungen über den körperlichen Entwicklungsstandes des Kindes;
b) sich nackt vor Kindern zu zeigen, weil es dem Erwachsenen sexuell erregende Gefühle verschafft;
c) dem Kind die eigenen Genitalien zu zeigen und dabei ein größeres Interesse zu haben, als das Kind beim neugierigen Schauen;
d) altersunangemessene sexuelle Aufklärung des Kindes usw.

Der klassische Kindesmissbrauch läuft meist nach folgendem Muster ab:

I. Schritt: die Vorbereitung
Die sexuelle Ausbeutung beginnt meist mit besonderen Zuwendungen an das Kind. Es wird z.B. als Lieblingskind erklärt und kann durch die erhöhte Bewunderung für den Täter als Vertrauensperson um so leichter ausgenutzt werden. Der Täter verpackt die sexuelle Ausbeutung kindgerecht. Er ritualisiert seine Handlungen und beginnt in einem unbeobachteten Augenblick mit den Übergriffen, die anfangs noch als Spiel getarnt sind.
Er bezeichnet die Übergriffe dem Kind gegenüber als Kitzeln – Kraulen - Toben. Er zaubert weiße Wolken aus seinem Penis und beschmiert ihn mit Nutella und bezeichnet ihn als Schokoladenmännchen zum Ablutschen. Die Vorbereitung des Missbrauchs wird als Doktorspiel getarnt und oftmals wird die Masche des Hofierens angewandt, wobei das Kind wie ein Erwachsener behandelt wird und z.B. Alkohol trinken darf. Verbreitet ist auch die Ausnutzung des kindlichen Mitgefühls in dem Sinne “ich bin so traurig, nur Du machst mich glücklich“.

II. Schritt: die Geheimhaltung
Das Geschehene wird vom Täter meist als gemeinsames Geheimnis erklärt und dem Kind damit eine aktive Beteiligung suggeriert. In fast allen Fällen unterstreicht der Täter dies mit Drohungen, Beschwichtigungen oder Bestechungen in dem Sinne:
- “Wenn Du das jemandem sagst, kommst Du ins Heim“
– “Es war doch gar nicht so schlimm“
– “Wenn Du schön brav bist, bekommst Du auch den Hund“.

Mir wachsendem Widerstand oder wenn der Täter merkt, dass Dritte etwas ahnen, werden seine Drohungen immer stärker und gehen auch in physische Gewalt über. Findet der Missbrauch innerfamiliär statt, wird das Kind oft isoliert, indem der Täter versucht einen Keil zwischen die Mutter-Kind-Beziehung zu treiben und auch Kontakt zu Gleichaltrigen zu unterbinden.

III. Schritt wenn Aufdeckung
Falls es dennoch zur Aufdeckung kommt, stellt der Täter das Kind als Lügner dar und setzt es damit quälenden Befragen und Unterstellungen aus. Er wirkt auf das Kind, dass es die Behauptung, es sei missbraucht worden, zurücknimmt. Oftmals wird auch dem Kind die Schuld zugeschoben, welches den Täter verführt haben soll oder der Ehefrau, die sexuelle Ansprüche ihres Mannes nicht erfülle.

Gesteht der Täter seine Handlung ein, dann meist nicht auf Reue, sondern nur um eine mildere Strafe zu erhalten. Da sexueller Missbrauch eine Wiederholungstat ist, bleibt auch in diesem Fall nicht zugesichert, dass der Täter in Zukunft keine Kinder mehr missbraucht.

IV. Erkennbar wird der Missbrauch an merkwürdigen Verhaltensformen des Kindes
- Spielsachen werden vor der Zimmertür bis zum Bett aufgebaut, damit es einen Knall gibt, wenn der Täter die Tür öffnet und das ganze Haus wach wird.
- Kinder schlafen vollbekleidet, wickeln sich in ihr Bettzeug ein oder nehmen den Hund mit ins Bett, damit der Täter sich ihnen nicht nähern kann.
- Popkorn wird vor die Zimmertür gestreut, damit der Täter gehört wird.
- Laufend werden Freunde als Übernachtungsgäste eingeladen um so vor Übergriffen geschützt zu sein.
- Kinder erscheinen zu früh zum Unterricht und wollen anschließend nicht nach Hause. Sie engagieren sich besonders und überobligatorisch in der Schule oder in Jugendgruppen.
- Kinder verschließen die Reißverschlüsse ihrer Hosen von innen mit Sicherheitsnadeln mit der Hoffnung den Missbrauch damit zu verhindern.

Die Kindesmißhandlung auch in Form von nicht sexueller Gewalt

Die Anzahl der Fälle ist nur schwer zu schätzen. Die Schätzungen schwanken zwischen 50.000 bis 300.000 Fällen pro Jahr. Dabei sind es nicht Taten tobender Trunkenbolde oder irrer Lusttäter.
Weisen Kinder äußerlich sichtbare Verletzungen auf, sind diese angeblich meist dadurch entstanden, dass das Kind aus dem Bett oder vom Wickeltisch gefallen oder die Treppe herabgestürzt sei. Viele Fachleute rügen dabei, dass die Ärzte noch immer auf offensichtlichste Anzeichen von Misshandlung verschlafen.

Schon immer waren Kinder Ziel von körperlicher Gewalt, derzeit schätzt die Deutsche Liga für das Kind allerdings, dass jedes 5. Kind von ernsthafter seelischer und sozialer Vernachlässigung oder sogar körperlicher Gewalt betroffen ist. Die Misshandlung sei nicht nur aktives Handeln, sondern auch als passive Unterlassung zu beschreiben. Dies sei auch der Grund für die von Erziehern und Lehrern so beklagte neurotische Verwahrlosung der Kinder, von Angstneurosen und Phobien, auch in Form der sogenannten Schulphobie. Die Drogenabhängigen werden immer jünger, rund 50.000 12 – 14-jährige sind alkoholsüchtig, wobei die Zahl stark steigt. Die Selbstmörder werden immer jünger. Bei den 15 – 20-jährigen ist nach Unfällen der Selbstmord die 2-häufigste Todesursache. 5 % aller Kinder sind nach Schätzungen psychisch krank und behandlungsbedürftig.


Psychosomatiker führen dies auf das Arbeitsfeld Familie zurück und stürzten sich darauf. Die ist allerdings ein Stoppelfeld. Die klassische Familie wird heute nur noch in Sonntagsreden als letzte intakte Bastion in einer ansonst tumulthaften Welt gepriesen. Doch durch die immer weiter steigenden Scheidungszahlen und die in Zukunft vermutete Scheidungswahrscheinlichkeit von über 50 % steht zu befürchten, dass fast jedes 2. Kind, dass gegenwärtig geboren wird nicht in der Familie aufwachsen wird, in die es hineingeboren wurde. Zukunftsforscher beschreiben, dass sich der Mensch in der westlichen Industriegesellschaft weg vom Familienwesen hin zum Einzelindividuum bewegt und dass er allzeit mobil nur auf der Suche nach dem eigenen Glück unterwegs ist.

Die Familie ist durch das Auseinanderdriften von Arbeit, Einkauf, Freizeit und Wohnen in gesellschaftliche Isolationen geraten. Die individuelle Suche nach Glück und Komfort, versinnbildlicht durch immer mehr Singles, kollidiert mit dem Kind, das den Eltern in Spe vordergründig nur materielle Einbußen, Verlust an Freizeit und Verzicht auf persönliche Lebensplanung abverlangt. Der moderne Mensch hat die individuelle Freiheit in einem solchen Umfang entdeckt, wie es früher nie der Fall war. Wenn grundsätzlich dagegen nichts einzuwenden ist, ist allerdings festzustellen, dass dies für Kinder eine Katastrophe ist.

Das Kind definiert sich zugleich als Schmusetier und Klotz am Bein. Immer öfter erscheinen die Nachkommen zur Projektionsfläche elterlicher Ansprüche zu werden. Das Kind soll nicht stören und nicht schmutzen, es soll klug, schön und erfolgreich sein. Vor allem soll es die Eltern lieben. Es soll ein Luxusartikel sein, der die Anschaffung lohnt.

Gibt es eine Lösung für diesen riesigen Berg von Problemen?
In der derzeitigen materialistischen und konsumorientierten Gesellschaft sehe ich diese Lösung nicht. Die Definition der Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Einen Weg zurück in das alte konservative Familienideal im Sinne der Wiege der Nation scheint unmöglich. Der gesellschaftliche Druck nach materieller Repräsentation (Haus, Auto, Urlaub) wird die Familie immer weiter von einer individuellen, intensiven, liebevollen Kinderbetreuung und damit Kindererziehung entfernen.
Letztlich könnte dieser Entwicklung nur durch eine massive Umgestaltung gesellschaftlichen Konstruktionen und Werte entgegengewirkt werden.

geschrieben am: 26.03.2007 - 14:20:11 von: vonderwehl in der Kategorie Kindesmißbrauch
(Geändert 26.03.2007 - 14:22:10) 4921 mal gelesen
Fragen und Antworten: 10 Kommentare


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20.04.2011 - 02:07:41:
wie lange nach einer tat kann mann anzeige rstatten (jahre)
14.04.2011 - 22:06:04:
ER hatte im Schwimmbad eine Errektion,als er mit meiner Tochter spielte.Bei mir kann er nicht.Soll ich mir Sorgen machen?
19.07.2009 - 23:59:51:
Hallo, meine Ex-Frau hat letzte Woche gegen mich Anzeige wg. Sexuellen Missbrauch an meinen beiden Töchtern erstattet, um das alleinige Sor...

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